Für immer nah

- ISBN: 978-3-95904-044-0
- Umfang: 248 Seiten
Eugenie Hübscher, Jahrgang 1943, kam in Odessa zur Welt, als Tochter eines Deutschen und einer Kalmückin. Vom Vater kennt sie bis heute nur den weit verbreiteten Nachnamen, von ihrer Mutter kennt sie nicht einmal den Namen. Ihre Pflegemutter nahm sie mit nach Schleswig-Holstein. Durch ihre Heirat bekam sie die erste Berührung mit der Kunst.
Die Frage nach ihren Wurzeln ließ Eugenie nie los. Und so reiste sie nach Odessa, sobald die politische Lage das zuließ. Aber ihre Nachforschungen in den Archiven waren nicht von Erfolg gekrönt.
Stattdessen lernte sie in Odessa Künstler kennen, deren großes Potenzial sie treffsicher erkannte. Von nun an reiste sie immer wieder ins „Paris des Ostens“ und brachte Bilder mit, die sie in ihrer eigenen Galerie in Norddeutschland ausstellte – mit großem Erfolg. So haben ihr heute einige ukrainische Künstler viel zu verdanken.
Sie erwarb ein Haus am Baikalsee, wo sie viele interessante Begegnungen und Erlebnisse hatte. 2009 verkaufte sie das Haus, denn das Hin- und Herreisen und der Erhalt des Anwesens waren ihr zu beschwerlich geworden. Die Sehnsucht aber ist geblieben.
Zurück in meiner deutschen Heimat trete ich frühmorgens auf die Terrasse hinaus. Der Morgentau liegt noch auf dem Gras und der feuchte Duft erreicht mich.
Ich denke nicht: „Wie schön!“
Ich denke: „Wie in Sibirien!“
So nah ist es!
Eugenie Hübscher:
Für immer nah – Eine Spurensuche
Odessa – Deutschland – Sibirien
14,8 x 21 cm, 248 Seiten
ISBN 978-3-95904-044-0
Edition Forsbach 2018
2. Auflage 2021
"Für immer nah", eine Spurensuche, von Eugenie Hübscher
Eugenie, wie klangvoll. Ich nenne die Autorin einfach bei ihrem Vornamen, zumal sie sich auch selbst so vorstellt. Es erscheint mir passend zu ihrer lebhaften, Nähe vermittelnden Erzählweise in Ichform.
1943 geboren, erfährt Eugenie im Alter von drei Jahren eine ersten, schlimmen Schicksalsschlag. Ihre Mutter, eine aus Odessa geflohene Kalmückin, läßt sie inmitten der Kriegswirren auf einem Bahnhof stehen und verschwindet. Doch: Es geschieht ein wahres Wunder. Eine gleichfalls auf der Flucht befindliche Deutsche, Mutter dreier Söhne, läßt kurzerhand einen Koffer mit letzten Habseligkeiten zurück und nimmt die kleine, völlig schutzlose Eugenie mit sich, bringt sie im Westen in Sicherheit.
Einleitend erfährt man nun einige charakterisierende, kurzgefassten Details über sie selbst und ihre "Ersatzfamilie".
Ihr eigener Vater ist ein in Odessa geborener Deutscher, unter Stalin nach Sibirien verschleppt, dort möglicherweise umgekommen. Mehr weiß Eugenie nicht.
Sie stellt ihre Pflegemutter, Mama, als sehr tüchtige, liebevolle und tatkräftige Frau dar. Eine Frau, die ihr unvoreingenommen und letzlich selbstlos den Start in ein neues Leben ermöglicht hatte.
Eugenie lernt schnell und leicht, entdeckt früh ihren Hang zur Kunst. Doch ihre Herkunft, das Verlassenwerden durch ihre leibliche Mutter, kein Vater: All dies kreiert eine beständige und wachsende Unruhe in ihr. Die Suche nach verlorenen Eltern oder einem Elternteil, signifikant für alle betroffenen Kinder.
In späteren Jahren plötzlich wieder Kontakt mit dem Thema Kalmückien, die Verdrängung bricht spätestens zusammen, als der große Stiefbruder stirbt. Sie erwartet, in seinen Aufschrieben etwas zu ihrer Herkunft zu finden. Dem ist nicht so. Trotzig beschließt sie daraufhin, auf eigene Faust nach Odessa zu reisen, um Spuren ihrer Herkunft zu suchen.
Zuvor geschieht jedoch noch etwas Besonderes. Eugenie sammelt Erfahrungen mit einer anderen Art von Spurensuche: "Holotropes Atmen". Dabei erscheinen in ihrem Inneren farbige und sehr plastische Bilder. Auf ihrer Reise zu den "Wurzeln" geraten diese zu "déjà vue"- Erlebnissen der besonderen Art. Vor dem eigentlichen Beginn der Erzählung stellt Eugenie in einem kurzen Abriss " Die Menschen in meiner Geschichte" vor, welche darin eine Rolle spielen. Dabei läßt sie Bemerkungen zu manchen einfließen, welche geschickt die Erwartungshaltung der lesenden Person steigern. Gefällt mir gut!
Nun beginnt die eigentliche Suche. Aus ihrer Lebensgeschichte ergeben sich zunächst zwei Schwerpunkte: Odessa zum einen, der Baikalsee und Sibirien zum anderen.
Im letzten Teil des Buches erfahren wir mehr Details über dort ansässige Künstler. Für mich durchaus eine Hommage an deren im Westen oft lange verkannten Begabungen und Fähigkeiten. Selbst Künstlerin und Galeristin, spürt man, wie Eugenie so richtig das Herz aufgeht, wenn sie von den Kontakten und Begegnungen mit ihnen erzählt. Auch dies aus meiner Sicht ein lesenswertes Kapitel.
In der nun folgenden Erzählung über ihre Erfahrungen bei der Suche, deren Erfolge und Mißerfolge, das Auf und Ab, gefällt mir besonders gut die so persönliche Darstellung und Wiedergabe des dabei Erlebten: Menschen, Landschaften, kulturelle und geschichtliche Hintergründe werden mir als Leser in beeindruckenden Art und Weise nahebracht. Man meint geradezu einen Hauch der " russisch-asiatischen Seele" zu verspüren. Schamanentum, altes Vokswissen um Heilung und Umgang mit der Natur, Russland als ein Vielvölkerstaat mit seinen vielen Schattierungen (eine durchaus spürbare kolonisierender Hand des eigentlichen russischen Volkes, in kleinen Nebensätzen untergebracht), menschliche Großzügigkeit, daneben schamlose Übervorteilung, Gastfreundschaft uns kaum bekannter Weise als immer wiederkehrendes Thema......
Es gelingt Eugenie - aus meiner Sicht sehr wohltuend - ein zutreffendes Bild des heutigen Lebens in Russland glaubwürdig zu vermitteln. Eine Glaubwürdigkeit, die den deutschen "Einheitsmedien" mit ihren überwiegend Negativdarstellungen Russlands aus meiner Sicht weitgehend abhanden gekommen ist. Ob aus Unfähigkeit, Unwilligkeit oder Unterwerfung, das sei dahingestellt.
Insoweit empfinde ich die lebensnahen Schilderungen und Erzählungen selbstgemachter Alltagserfahrungen, basierend ausschließlich auf dem Wunsch, die eigenen Wurzeln, Teile eigener Identität zu finden, als eine echte Bereicherung. Manche mögen ihre Wiedergabe empfundener Stimmungen bei der Suche als " rosarote Brille" einstufen. Doch dem ist sicher nicht so. Denn wir wissen heute aus der Forschung sehr genau, daß Erfahrungen der Eltern, Großeltern, wahrscheinlich noch viel weiter zurückreichend, bereits zu deren Lebzeiten genetisch abgespeichert und so weitergegeben werden können. Ein Aspekt, der nach meinem Dafürhalten heute noch sehr unterschätzt wird, was z. B. die Entwicklung der Identiät eines Menschen anbetrifft.
Um so mehr halte ich dieses Buch zu diesem Zeitpunkt für ein kleines Geschenk, um uns die Augen zu öffnen, um den Wahrheitsgehalt dessen zu hinterfragen, was uns die sogenannte Öffentlichkeit als Bild Russlands krampfhaft zu vermitteln versucht.
Nochmals: Eugenies Buch ist absolut kein politisches Buch, will es mit derselben absoluten Sicherheit auch nie sein. Doch durch die Authenzität einer sehr individuellen Spurensuche, deren sehr zum Nachdenken anregenden Wiedergabe, vermittelt uns Eugenie eben ein anderes Russland. Seine Menschen auch geprägt durch die schiere geographische Größe und Weite des Landes, eine formende Kraft. Etwas, das man durchaus in den USA und Kanada wiederfindet- aus ähnlichen Gründen!
Im dritten und letzten Teil des Buches beschäftigt sich Eugenie mit russichen Kunstschaffenden. Sie vermittelt hierbei interessante Einblicke in deren Leben und künstlerisches Schaffen. Wie anfangs schon erwähnt: Ihr Künstlerherz geht noch ein Stück weiter auf. Vielleicht Ausdruck eines verborgenen, biographiebedingten Stolzes, ihre Landsleute. Denn in der Tat reüssieren nicht wenige von ihnen auf dem westlichen Kunstmarkt. Eugenie kann als Galeristin bei einigen als "Geburtshelferin" unterstützend zur Seite stehen. So gerät auch dieses Kapitel zu einem interessanten Leseerlebnis, nicht zuletzt durch das Erzähltalent von Eugenie.
Summa summarum empfinde ich das Buch für mich als eine wahre Bereicherung. Eugenie vermittelt mir neue Einblicke in "russisch- asiatisches Innenleben". Das für mich Erfreuliche: Authentisches, neugieriges, unvoreingenommenes, sehr persönlich- emotional Erlebtes wird in leicht lesbarer Form vermittelt. Man spürt, daß hier ein vom Schicksal gebeutelter Mensch offen mit nicht selten Ebensolchen über Sprachbarrieren hinweg kommunizieren kann. Ein Erfahrungs- und Wahrnehmungsaustausch, in gelungener Weise transportiert, zum Nachdenken, Überdenken, Nachempfinden veranlassend.
Daher: Danke, liebe (unbekannte) Eugenie für den Mut zu Ihrem Buch,
Danke, liebe Edition Forsbach, liebe Beate Forsbach, für den Mut zur Veröffentlichung
Yves Yburg, Südbaden, im August 2018